Diagonale
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Festival des österreichischen Films
4.–9. April 2024, Graz

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Unrecht und Widerstand
Dokumentarfilm, DE/AT 2022, Farbe+SW, 113 min., dOF
Diagonale 2023

Regie, Buch: Peter Nestler
Kamera: Rainer Komers
Schnitt: Dieter Reifarth
Originalton: Michael Busch
Produzent:innen: Dieter Reifarth, Constantin Wulff
Produktion: strandfilm (DE)
Koproduktion: Navigator Film Produktion KG ZDF/3sat (DE)

 

Peter Nestler setzt sich erneut mit den Verbrechen gegen Sinti*zze und Roma*nja und deren Widerstand während und in Folge des Zweiten Weltkriegs auseinander. Im Zentrum steht der Bürgerrechtsaktivist Romani Rose. Dabei spart er alles aus, was den Film an einem möglichst aufrichtigen, konkreten Geschichtsbild hindern würde. Aus den präzis montierten Archivbildern und Gesprächen mit Zeitzeug*innen und Expert*innen entwickelt sich eine Geschichte des Widerstands gegen Rassismus, der bis heute Alltag und Politik durchdringt.

Nachdem er bereits 1970 mit Zigeuner sein einen wertvollen, weil erschreckend seltenen Beitrag zur Aufarbeitung der Verbrechen an Sinti*zze und Roma*nja während und in Folge des Zweiten Weltkriegs realisiert hat, widmet sich Peter Nestler ein weiteres Mal der Geschichte dieser Menschen. Dabei konzentriert er sich auf Widerstandsbewegungen, in deren Zentrum der Bürgerrechtsaktivist Romani Rose steht. Der Film stellt Gespräche mit Zeitzeug*innen und Forscher*innen sowie aufwühlende Archivbilder gegen die Geschichtsvergessenheit. Rose ist ein unermüdlicher Erzähler, von dem man vieles lernen kann. Er und andere berichten vom Grauen der Verfolgung durch Nazis und vor allem von dem, was nach dem Krieg passierte, als die Bundesrepublik Deutschland den Rassismus gegen die Sinti*zze und Roma*nja fortführte, während man nur gegenüber dem jüdischen Volk Reue zeigte. Dass die darin verhandelten Themen auch für die Vergangenheit und die Gegenwart Österreichs virulent sind, erklärt sich von selbst. In einer Archivaufnahme wird der ehemalige deutsche Bundesminister Ignaz Kiechle in einer Talkshow gezeigt, bei der er mit Bierglas als Gast im Publikum sitzt und ausfällig gegen Rose wird. Ein schwer verdaulicher Zwischenfall, der nur von einer Sequenz über- beziehungsweise unterboten wird, in der einige Bürger*innen der BRD ihre Vorurteile gegen „Zigeuner“ zum Besten geben. Leider kennt man diese Sprache auch heute nur zu gut. Nestler verfälscht und verformt nichts. Dass man zeigt, ist ihm Haltung genug. Er will von jenen erfahren, die mehr wissen als er. Die daraus resultierende Kunstlosigkeit erscheint als große Ausnahme im zeitgenössischen Filmschaffen. Es geht hier nicht um eine besondere Art, etwas zu filmen, es geht darum, gründlich zu arbeiten und etwas zu erkennen. Man merkt das schon an den Gesprächen. Die Berichtenden dürfen ausreden, alles, was sie sagen, wird in Kontexte gebracht. Nestler geht genannten Namen und Ereignissen nach, er lässt nichts im Raum stehen, strebt nach größtmöglicher Konkretheit. Das ist himmelweit entfernt von den emotional aufgeladenen, verfälschten Geschichtsbildern, mit denen man sonst konfrontiert wird. Fließen Tränen, dann weil es unumgänglich ist, nicht weil daraus ein Effekt entsteht. Bei all dem, was die Gegenwart an Krisen bereithält, ist es leicht, die Vergangenheit zu vergessen. Das aber wäre fatal, denn es ist stets die Geschichte, aus der wir für die Zukunft lernen können. Nestler zeigt das einmal mehr mit größtmöglicher Dringlichkeit.
(Katalogtext, ph)

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