Diagonale
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Festival des österreichischen Films
4.–9. April 2024, Graz

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Der träumende Mund
Spielfilm, DE/FR 1932, Schwarzweiß, 93 min., dOF
Diagonale 2013

Regie: Paul Czinner
Buch: Paul Czinner, Carl Mayer nach Motiven des Bühnenstücks „Mélo“ von Henri Bernstein (1930)
Darsteller:innen: Anton Edthofer, Elisabeth Bergner, Rudolf Forster, Margarete Hruby, Jaro Fürth
Kamera: Jules Krueger
Schnitt: Erich Schmidt
Musik: Werke von Ludwig van Beethoven, Richard Wagner
Produzent:innen: Marcel Hellmann
Produktion: Pathé-Cinéma, Paris
Koproduktion: Matador Film, Berlin

 

Schauspielstar Elisabeth Bergner ist Gaby, eine zwischen ihrem Ehemann und ihrem Geliebten zerrissene Frau. Bergners kongeniale Darstellung und Czinners Regie, die das Innenleben der Charaktere ins Zentrum rückt, führten den Film zum Welterfolg. Der träumende Mund fasziniert bis heute auch als meisterliche Studie des Weimarer Zeitgeistes und als Katalog der ästhetischen Normen der 1920er-Jahre.

Katalogtext Diagonale 2013:

Gaby, die Frau des Musikers Peter, ist begeistert vom Spiel des Geigenvirtuosen Michael Marsden, der mit dem Orchester ihres Mannes ein Konzert gibt. Bei der Aufführung sehen sich Peter und Michael, einst Jugendfreunde, nach langer Zeit wieder. Als Peter später Michael seine Frau vorstellt, erkennt dieser in Gaby das geheimnisvolle Wesen, das zuvor wie ein „scheues Reh“ aus der Künstlergarderobe huschte. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Gaby wird Michaels Geliebte, und er drängt sie von Mal zu Mal stärker, ihren Mann zu verlassen. Doch Gaby liebt Peter nach wie vor. Als ihr Mann schwer erkrankt, pflegt sie ihn aufopferungsvoll und versucht, die Beziehung zu Michael abzubrechen. Doch sie kann nicht von ihm lassen und beide fliehen aus der Stadt. Auf der Reise kommen Gaby Zweifel an ihrer Entscheidung; die Liebe zu ihrem Mann gewinnt wieder die Oberhand und sie kehrt zurück. Peter ist überglücklich, er ahnt nichts von Gabys innerem Konflikt – schließlich sieht sie in ihrer Zerrissenheit keinen Ausweg mehr.

Bei der zeitgenössischen Filmkritik fand Der träumende Mund durchwegs positive Aufnahme. „Fast in jedem Bilde ist zu spüren, daß Paul Czinner, der Regisseur und Manuskriptverfasser, und Carl Mayer, der dramaturgische Berater, alles vermeiden wollten, was nach Aufwand, Bombast, Ersatzmitteln aussehen könnte“, so Kritikerpapst Herbert Ihering im „Berliner Börsen-Courier“. „Sie verzichteten auf Füllfiguren und Einlagen, auf Stadt- und Landschaftsbilder, auf Massenszenen und Aufläufe. Mayer wollte mit Czinner und der Bergner ein Kammerspiel zwischen drei Personen machen. Was ist entstanden? Ein fließendes, gleitendes, mimisches Kammerspiel mit sparsamen Dialogen? Nein. Entstanden ist ein Film, der bald locker, bald starr ist, bald spielerisch, bald pathetisch.“

Geradezu enthusiastisch nehmen sich im Vergleich die Besprechungen der Filmkritikerinnen aus. „Ein Film wird zum Erlebnis“, begeistert sich Lotte H. Eisner vom „Film- Kurier“ nach der Premiere 1932: „Fluktuierendes Zwischenspiel der Seelen, das die Kamera reflektiert, das Worte zum Tönen bringen. Nichts braucht vor sich zu gehen an dramatischer Handlung. Alles liegt zwischen den Zeilen – wieder kann Paul Czinner hier langausspielend die inneren Beziehungen zwischen Menschen offenbaren, Latentes zwischen Mann und Frau, durch einen Aufblick, eine Handbewegung, einen Wortfetzen, durch Wendungen, die über den Dialog der scheinbaren Alltäglichkeit hinaus andere tiefe Bedeutung haben.“

Und Malvine Jellinek vom Wiener „Kino- Journal“ schreibt: „Elisabeth Bergner findet für diese rührende, innerlich haltlose Frau, die den Mut zur Untreue nicht aufbringt, ergreifende Gestaltung. Diese Gestalt liegt ihrer Begabung, ihrer Ausdrucksfähigkeit am nächsten. Frauen mit ganz rotem Blut, Willens- und Entschlusskraft, wie überhaupt Kraft, ganz undifferenzierte, lebenstüchtige Menschen, sind ihr fremder. Aber Ariane, Fräulein Else und nun diese Gaby, wer spielt es ihr nach?“

Der träumende Mund wurde ein Welterfolg, parallel zur deutschen Fassung drehte Czinner auch eine französische Version (Mélo mit Gaby Morlay) und ein paar Jahre später ein weiteres Remake in England (Dreaming Lips), wieder mit Elisabeth Bergner in der Hauptrolle. Abgesehen von Bergners großartiger Darstellung und Czinners feinfühliger Regie fasziniert der Film bis heute als meisterliche Studie des Weimarer Zeitgeistes und kann als Katalog der ästhetischen Normen der 1920er-Jahre gelesen werden, die sich im Mobiliar, in Details der Einrichtung – vom Champagnerglas bis zur Zigarettenspitze – und in der androgynen Damenmode (kurzes Haar, Hosen) offenbaren, die Elisabeth Bergner so kongenial vorführt. (Brigitte Mayr und Michael Omasta)

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