Diagonale
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Festival des österreichischen Films
4.–9. April 2024, Graz

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Nacktschnecken
Spielfilm, AT 2004, Farbe, 86 min., dOF
Diagonale 2022

Regie: Michael Glawogger
Buch: Michael Ostrowski, Michael Glawogger
Darsteller:innen: Raimund Wallisch, Michael Ostrowski, Pia Hierzegger, Georg Friedrich
Kamera: Wolfgang Thaler
Schnitt: Andrea Wagner
Originalton: Ekkehart Baumung
Musik: Patrick Pulsinger
Szenenbild: Maria Gruber
Kostüm: Martina List
Produzent:innen: Danny Krausz, Kurt Stocker
Produktion: Dor Film

 

Das Herzstück der Reihe „RAUSCH“ bildet die „Sex, Drugs and Rock’n’Roll“-Trilogie von Michael Glawogger. Das Leben dreier Grazer Ex-Student*innen abseits vom Universitätsbetrieb. Johann jobbt bei der Post und verschickt manchmal anonyme Liebesbriefe an verheiratete Frauen. Max träumt von revolutionären Werbeideen, die doch nie verwirklicht werden. Wie Johann hängt auch Max sexuell in der Luft. Außerdem ist er insgeheim in Mao verliebt. Eines Tages bekommt Mao das Angebot, ein Sexvideo zu drehen. Das klingt nach Geld, Sex und Spaß. Die drei Freund*innen ahnen nicht, worauf sie sich da einlassen.

Sex, Drugs & Rock ’n’ Roll! Nicht nur weil sie sich die kinematografische Umsetzung dieser ewigen Popkultur-Dreifaltigkeit auf die Fahnen geheftet hat, steht die Filmtrilogie Nacktschnecken, Contact High und Hotel Rock’n’Roll einzigartig in der österreichischen Filmgeschichte da. Insbesondere der Mittelteil mit seiner psychedelischen Heiterkeit ist als rauschhafte Kinoerfahrung ein Meilenstein geblieben, der weltweit wenig Vergleichbares kennt. (Was übrigens nicht heißen soll, dass es den Filmen davor und danach an berauschenden Momenten, surrealen Einfällen und eigenwilliger Komik mangelt. Im Gegenteil.)
Schon der Auftakt Nacktschnecken verblüffte als Ausnahmeerscheinung in der heimischen Lustspiellandschaft: Die Geschichte um das notorisch erfolglose Ex-Student*innentrio Johann (Raimund Wallisch), Max (Michael Ostrowski) und Mao (Pia Hierzegger), das glaubt, sich durch einen flugs improvisierten Pornofilmdreh sanieren zu können, erinnerte eher an die Höhepunkte der US-Slacker-Komödien der 1990er-Jahre. Das Drehbuch von Michael Ostrowski und Regisseur Michael Glawogger kombinierte spielerischen Wortwitz und absurde Ideen – Geparden im steirischen Garten? – mit einem memorablen melancholischen Unterton: Die Fantasien vom Reichtum durch (und mit) Sex mochten sich als trügerisch erweisen, dafür erfreuten der frische Ton und das Ensemble des Grazers Theater im Bahnhof, dem noch ein paar Stargäste zur Seite gestellt wurden, insbesondere das dynamische Duo Detlev Buck und Georg Friedrich als zwerchfellerschütterndes Gegensatzpaar (affektierter Piefke und enthemmter Austroprolet). Vor Nacktschnecken läuft mit Paul Poets Schlingensief-Dokument ATTABAMBI SCHEISSMICHAN ein weiterer Film über die rauschhafte Verbindung von Irrsinn und Kunstproduktion.
Contact High war dann ein Quantensprung: von der sympathischen Low-Budget-Ästhetik zur farbenfrohen, effektgeladenen Filmwundertüte. Diesmal geht das Ensemble auf eine halluzinatorische Odyssee, um für einen Gangsterboss eine dubiose Tasche aus Polen nach Wien zu bringen: Während dieser Auftrag in bester Verwechslungskomödienmanier zur Farce im Geiste von Louis de Funès wird, sorgen diverse Rauschmittel und wundersame Interventionen für verrückte Visionen. Die Disco wird zum Zoo, und das Hotelzimmer schrumpft auf Puppengröße: „Alice im Wunderland“ und Underground-Comix sind wichtige Referenzen, aber die atemberaubende Assoziationswut von Glawogger (und Ostrowski) macht Contact High zum unvergleichlichen Trip, der exakt in der Mitte des Films, zu Captain Beefhearts „Mirror Man“, plötzlich in den Rückwärtsgang schaltet! Das stärkste Halluzinogen ist für Glawogger das Kino selbst, und er entfesselt dessen teils ungeahnte Möglichkeiten mithilfe kongenialer Kollaborateur*innen (nicht zuletzt Filmemacherin und Multitalent Mara Mattuschka, die wunderbare Animationen beigesteuert hat und deren wahrnehmungsverändernder Kurzfilm Plasma zur Einstimmung gezeigt wird). Das Vergnügen hier ist mehr als ein Rausch: Es ist eine Philosophie.
Nach Glawoggers frühem Tod oblag es Ostrowski, mit Koregisseur Helmut Köpping die Trilogie angemessen zu Ende zu bringen. Hotel Rock’n’Roll verschränkt die stilistischen und inhaltlichen Vorgaben der beiden Vorgänger zur großen Abschlussparty: Um das mit Kreditschulden belastete Hotel zu retten, das Mao geerbt hat, wird eine große Konzertveranstaltung geplant – auch wenn unsere Chaostruppe nur ein einziges Lied (in vielen verschiedenen Stilen) beherrscht. Zugabe!
(Christoph Huber)

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