Diagonale
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Festival des österreichischen Films
4.–9. April 2024, Graz

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ATEMNOT
Spielfilm, AT 1984, Farbe, 97 min., dOF
Diagonale 2023

Regie: Käthe Kratz
Buch: Peter Turrini
Darsteller:innen: Henriette Cejpek, Johannes Silberschneider, Maria Martina, Andreas Vitásek
Kamera: Christian Berger
Musik: Konstantin Wecker, The Dead Nittels
Produktion: neue studio film g.m.b.h.

 

„Es ist die Geschichte von zwei Jugendlichen, denen es nicht gelingt, sich in unserer Welt – so wie sie ist – zu beheimaten.“ Zwischen Baumgartner Höhe und besetztem Haus erzählt Käthe Kratz’ viel zu selten gezeigter Spielfilm (Drehbuch: Peter Turrini) von jugendlicher Revolte gegen die bestehende private und öffentliche Ordnung. „No future“ heißt in Wien „Leckt’s mi am Oarsch“. Die dystopische Sicht auf die Welt wirkt dabei allzu gegenwärtig. Ergänzt wird Atemnot um Fundstücke aus dem ORF-Archiv.

„(…) wer einmal begonnen hat mit der Auflehnung, der fügt sich nicht mehr.“
(Jean Améry)

Dies ist die Geschichte von zwei Menschen, die bis an den Rand des Todes gehen, um ein Stück Liebe und ein Stück Freiheit zu erleben. Es ist die Geschichte von zwei Jugendlichen, die es nicht schaf-fen, sich in unserer Welt zu beheimaten. Sie haben keine Chance dazu, sie bekommen keine und letztlich wollen sie auch keine mehr. Es ist die Geschichte von zwei Einsamen, die sonst keine Stimme haben. Wenn man von ihnen hört, dann nur, weil einer verlautbart, daß die Selbstmordrate wieder gestiegen sei. Es ist auch die Geschichte von zwei Menschen, die nicht aufgeben. Die ihr Leben nicht billig verschleudern, die sich nicht vom ersten Sonderangebot ihre Träume abkaufen lassen.
(Käthe Kratz)

Zwischen Baumgartner Höhe und besetztem Haus erzählt ATEMNOT nicht nur von zwei jungen Leuten, die sich in ihrer Umwelt nicht mehr zurechtfinden, sondern auch davon, wie die beiden Auswege aus ihrem Dasein suchen und temporär Zuflucht und ihr kleines Glücksversprechen finden. Kurzzeitig ist da ein Lichtblick innerhalb ihrer fatalistischen Perspektive der Ausweglosigkeit: Auf dem Gelände eines besetzten Hauses treffen die Tochter aus besseren Verhältnissen Tina (Henriette Cejpek) und der Installateurlehrling Gerhard (Johannes Silberschneider) auf junge Leute, deren Unbehagen am Zustand der Welt in Zorn und Revolte „gegen das System“ umgeschlagen ist.
Der Hintergrund ist dabei ein realpolitischer: 1983, ein Jahr vor der Veröffentlichung von ATEMNOT wurde in Wien das erste autonome, alternative Jugendzentrum Gassergasse (GaGa) geräumt. Käthe Kratz greift nicht nur die politischen Diskussionen unmittelbar auf, auch die Atmosphäre und die Stimmung der Zeit sind in ATEMNOT konserviert: etwa in einem Auftritt der Punkband The Dead Nittels oder wenn Konstantin Wecker singend-dozierend die Welt erklärt. No future! – die legendäre Parole der Punk-Bewegung taucht, gesungen von Sigi Maron, in ihrer urwienerischen Interpretation auf: „Leckt’s mi aum Oasch!“ In der Engführung seines Interesses für die Psychiatrie und der Auseinandersetzung mit gegenkultureller Revolte ist ATEMNOT ein Film seiner Zeit. Zugleich bietet der Blick aus der Gegenwart erstaunliche Parallelen ins Jetzt: Der individuelle wie auch der gesellschaftspolitische Aufruf zur Revolte angesichts eines Gefühls der Ausweglosigkeit und vor dem Hintergrund der tatsächlichen Beschaffenheit der Welt finden sich gegenwärtig in den Parolen und Programmen ökosozialer Klimabewegungen. Die Warnungen vor dem Finale der Welt als alarmierender Fluchtpunkt linker Jugendbewegungen haben ihre ideengeschichtlichen Vorläufer. All das sollte aber kein Grund zur zynischen Häme, sondern vielmehr ein Hinweis darauf sein, wie grundlegend ernst es Revoltierende mit den tatsächlichen, gefühlten und mitunter wahnhaften Wahrheiten meinen.
(Katalogtext, Peter Schernhuber)

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