Diagonale
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Festival des österreichischen Films
4.–9. April 2024, Graz

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Rammbock
Spielfilm, DE 2010, Farbe, 62 min., dOF
Diagonale 2023

Regie: Marvin Kren
Buch: Benjamin Hessler
Darsteller:innen: Michael Fuith, Theo Trebs, Anka Graczyk, Emily Cox, Brigitte Kren, Andreas Schröders u.a.
Kamera: Moritz Schultheiß
Schnitt: Silke Olthoff
Originalton: David Hilgers
Musik: Marco Dreckkötter, Stefan Will
Sounddesign: Hanse Warns, Markus Stemler
Szenenbild: Ulrich Frommhold
Kostüm: Jennifer Mäurer
Produzent:innen: Sigrid Hoerner, Melanie Berke
Produktion: moneypenny filmproduktion (DE)
Koproduktion: ZDF/Das kleine Fernsehspiel

 

Die Liebe ein seltsames (Genre-)Spiel, ihr Ende – oder die Aussicht darauf – gnadenlos. Mit erfrischender Verweigerungshaltung gegenüber jeder Tradition romantischen Erzählkinos konfrontieren Marvin Kren und Jörg Kalt ihre Protagonist*innen mit den Wirrungen von Herzschmerz, Zombieapokalypse und rückwärtslaufender Zeit. Ganz so wie beim ersten Kennenlernen geht es auch in ihrem Kino Richtung Zukunft durch die Nacht. An den Beginn und ans Ende gemeinsamer Zeit – mitunter auch darüber hinaus …

„Die Liebe ist Sieger, rege ist sie bei Leid.“
(Palindrom aus Richtung Zukunft durch die Nacht)

Die Liebe ist ein seltsames (Genre-)Spiel, ihr Ende – oder die Aussicht darauf – gnadenlos. In den beiden vielleicht unkonventionellsten „Liebesfilmen“ dieses Landes bleibt die Zuspitzung auf ein Finale mit Heirat, Kind und Kegel versagt. Vielmehr dekonstruieren Marvin Kren und Jörg Kalt die Wirrungen ersehnter Zweisamkeit mit erfrischender Verweigerungshaltung gegenüber jeglicher Tradition romantischen Erzählkinos.
In Richtung Zukunft durch die Nacht heißt die Protagonistin von hinten wie von vorn: A. N. N. A. Wie auch die Zeit im Film gegenläufige Lesarten erlaubt – mitsamt aller emotionalen und persönlichen Drastik, die damit für die Figuren einhergeht. Nachdem Anna (Kathrin Resetarits: blutjung) in einer Bar auf Nick (Simon Schwarz: ebenfalls blutjung) getroffen ist, steht dessen Leben kopf. Die beiden scheinen Bestimmung. Ist Anna nervös, verliebt oder wütend, so wird sie asynchron: Bild und Ton klaffen auseinander. In der Liebe und für die Liebenden – so ließe sich tollkühn philosophieren – sind die raumzeitlichen Dimensionen ausgehebelt, im Kino sowieso. Das surreale Moment der Asynchronizität bleibt innerfilmisch somit köstlich unhinterfragt. Generell nimmt Jörg Kalt das leidenschaftlich verklärte Aus-der-Welt-Sein der Liebenden mit aller Konsequenz beim Wort. Trotz romantischster Erster-Kuss-Szene ist das Ende von Anna und Nick nach gut dreißig Minuten Laufzeit erreicht. Es ist dies jedoch nur vermeintlich auch das Ende des Films. Abspann: aus. Von wegen. Fortan läuft die Zeit rückwärts. Einzig Nick bleibt der inneren Logik der Zeitumkehr enthoben, Anna wird also notgedrungen in sein Leben zurückkehren. Und sie wird für ihn – wie hart kann bitte Liebe sein? – am eigentlichen Anfang, dem Kennenlernen in der Bar, wissentlich für IMMER und unwiederbringlich verloren sein. Dazwischen: surreale Manöver, Verfolgungsjagd, Superheld*inneneinsatz, Schwarz-Weiß-Experimentalfilm und atemraubend gewitzte Sprachverliebtheit („Du hast an Exfreund?“ „Manchmal schon.“). Jörg Kalt zertrümmert mit seinem wagemutigen Abschlussfilm für die Wiener Filmakademie jegliche filmische Konvention und zimmert mit kleinstem Budget sowie damals noch wenig bekanntem Allstar-Team (Mona Willi, Barbara Albert, Leena Koppe, Nina Kusturica, B. Fleischmann und viele mehr) einen Probierraum für das Kino und das Durchexerzieren knisternd-romantischer Anbahnung.
In Marvin Krens frühem Genrewurf Rammbock ist dagegen gleich das Ende (in diesem Fall jenes der Menschheit) der Ausgangspunkt: Ein Virus verleiht Berlin apokalyptische Zombie-Grandezza, das Blutfest scheint eröffnet. Normalo Michi (herrlich unaufgeregt: Michael Fuith) lässt sich davon nicht einschüchtern und sucht beharrlich nach seiner Exfreundin Gabi – gegen wutschäumende Untote ankämpfend, die Aussicht auf Zweisamkeit nie infrage stellend. Ganz so wie Nick bei Jörg Kalt ist auch Michi heillos der Liebe verfallen und alles andere als ein klassischer Genreheld. Während hier wie da die (filmischen) Welten zunehmend aus den Fugen geraten, bewahren sich die beiden Protagonisten den unbedingten Willen für ein mögliches Happy End. Bis dahin sind sie geplagt von kontrafaktischen, bisweilen existenziellen „Was wäre, wenn“-Überlegungen – jede*r Herzschmerzerfahrene kann von deren Irrungen ein todtrauriges Lied singen. Es sind genau die damit beschworenen, selten heilvollen Inseln im unendlichen Ozean der Beziehungsmöglichkeiten, denen Kalt und Kren auf jeweils unverkennbare Weise nachspüren. So verhält sich ihr Kino wie ein erstes romantisches Kennenlernen: Wider jede unnötige Logik geht es Richtung Zukunft durch die Nacht. An den Beginn und ans Ende gemeinsamer Zeit – oder darüber hinaus.
(Katalogtext, Sebastian Höglinger)

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