Diagonale
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Festival des österreichischen Films
4.–9. April 2024, Graz

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DIE DRITTE OPTION
Dokumentarfilm, AT 2017, Farbe, 78 min., OmeU
Diagonale 2017

Regie, Buch: Thomas Fürhapter
Kamera: Judith Benedikt
Schnitt: Dieter Pichler
Originalton: Andreas Hamza
Weitere Credits:
Tonmischung: Tom Pötz
Dramaturgische Beratung: Constantin Wulff
Produzent:innen: Johannes Rosenberger
Produktion: Navigator Film

 

Was tun, wenn man erfährt, dass man ein körperlich oder geistig beeinträchtigtes Kind erwartet? Ausgehend von dieser Frage entwickelt Thomas Fürhapter seinen komplexen filmischen Essay: DIE DRITTE OPTION setzt Einzelschicksale im Zeitalter von Pränataldiagnostik und Biopolitik in einen radikal gegenwärtigen und gesellschaftspolitischen Zusammenhang. Schicht um Schicht wird der Blick freigeräumt für grundsätzliche Fragen zu Geburt, Ethik und Norm – so wird das, was nur wenige betrifft, zu etwas, das alle angeht.

Der Fetozid, die Tötung des Kindes im Mutterleib, als dritte Option, verortet sich in einem komplexen Netz aus Biopolitik und medizinischen sowie juristischen Urteilen. Ein Netz, in dem die Betroffenen, vor allem die Mutter des Kindes, zwischen vermeintlich freier Entscheidungsfähigkeit und der gesellschaftlichen Forderung nach Selbstoptimierung und Normierung festhängen. In metaphorischen Bildern, die den heutigen Angleichungswahn mit fließbandproduzierten Playmobilfiguren assoziieren, entwickelt sich DIE DRITTE OPTION zu einer politischen Abhandlung über den gesellschaftlichen Umgang mit körperlicher und geistiger Beeinträchtigung. Diese wird als gefährliche Abweichung gedacht, im Konzept des „Gnadentodes“ und der Eugenik wird das Töten eines nicht der Norm entsprechenden Menschen vertretbar – ein Gedanke, der auch in heutigen (Körper-)Diskursen weiterlebt und die Entscheidung von Müttern zu einem Zwang macht: zwischen einem Leben mit krankem Kind und dem Töten des Fötus in der fortgeschrittenen Schwangerschaft.
Kamerafahrten vorbei an Regalen voll uniformer, gendercodierter Spielsachen, an prall gefüllten Apothekenschränken, durch die kühle, antiseptische Atmosphäre des Krankenhauses verdeutlichen die enge Verknüpfung privater, medizinischer und politischer Diskurse. Wir sehen Bilder von Menschen beim Sport – ein Reigen gesunder, „normaler“ Körper – sowie die besondere, individuelle Betreuung behinderter Kinder. Die berührenden Off-Kommentare von Betroffenen und Ärzt/innen kontrastieren mit lakonischen Aufnahmen einer Fabrik für winzige Kindersärge. Die Diskussion über jegliche Argumente und Rechtfertigungen kommt jedoch zum Schweigen angesichts des einsamen Paares bei der Bestattung seines Kindes, dessen Behinderung noch vor der Geburt über seinen Tod entschieden hat. Der dramaturgische Kreis schließt sich mit spielenden Kindern im Schwimmbad, dem Ausdruck ungezwungener Lebendigkeit von Kinderkörpern, die sich ihrer politischen Relevanz noch nicht bewusst sind.
Ein nachdenklich machender Film über die Macht der Norm, über die Frage danach, was ein Leben lebens- und gebärenswert macht, über die Spannung zwischen Privatem und Politischem, die zur Zerreißprobe für die Eltern und in über neunzig Prozent der Fälle zu einem Todesurteil wird.
(Katalogtext, cw)

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