Diagonale
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Festival des österreichischen Films
4.–9. April 2024, Graz

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Heldenplatz, 12. März 1988
Spielfilm, AT 1988-1991, Farbe, 3 min., ohne Dialog
Diagonale 2016

Regie: Johannes Rosenberger
Buch: Johannes Rosenberger, Michael Palm
Darsteller:innen: Peter Cerny
Kamera: Johannes Hammel
Schnitt: Michael Palm
Produzent:innen: Johannes Rosenberger
Produktion: Johannes Rosenberger

 

Ein Soldat scheint sich in Heldenplatz, 12. März 1988 in die Gegenwart verirrt zu haben, um Kurt Waldheim zum 50. Jahrestag des Anschlusses zu grüßen: Die Vergangenheit liegt nicht da, sie steht mitten unter uns – grotesk, verzerrt, schreiend, zerstückelt. Unheimlich.

Im selben Jahr, in dem Kurt Waldheim der Welt eine vermeintlich glatte, wasserdichte Geschichte über seine Jahre als Soldat und Wehrmachtsoffizier anzudrehen versuchte (als wäre nichts einfacher und eindeutiger als der Umgang mit der Vergangenheit) und sich bei genauerem Nachfragen doch nie so ganz erinnern konnte, war im Kino Wolfram Paulus’ fulminanter Film Heidenlöcher zu sehen. Als möglicher Gegenentwurf zum politisch lapidaren Diskurs Waldheims lesbar, wird hier präzise, aber fragmentarisch an eine mögliche Konstellation in Österreich zur Zeit des Zweiten Weltkriegs erinnert. Im Kleid eines Bergwesterns erzählt Paulus vom Deserteur Santner, der im Winter 1942 in einer Höhle im Salzburger Ellmautal über die Runden zu kommen versucht, während im Dorf die Bewohner/innen, Kriegsgefangenen und Soldaten ein von Konflikten durchzogenes Nebeneinander praktizieren. Nur sein Sohn Ruap, der Bergbauer Dürlinger und seine Frau wissen von Santners Anwesenheit, bis das Geheimnis langsam, aber sicher in die falschen Hände zu fallen droht.
In kontrastreichem Schwarz-Weiß und messerscharfen Kadragen verzichtet Heidenlöcher auf die Dramatisierung der großen Verratsmomente, der Gewissenskonflikte und der schicksalhaften Entscheidungen, die man später als Kollaboration, Widerstand oder Flucht hätte deuten können. Stattdessen: hochkonzentriertes und doch zurückhaltendes Hinsehen auf Kleinigkeiten und Handgriffe, Abläufe und Rituale des Kriegsalltags sowie auf die Oberflächen, die Schatten und die haptischen Eigenschaften der Welt am Rande der Zivilisation. Die Methode Robert Bressons, der für Paulus ein wichtiger Bezugspunkt war, ist in der Arbeit mit Laiendarsteller/innen, in den fokussierten, kleinteiligen Kamerablicken und in einer die Bruchstückhaftigkeit betonenden Montage spürbar. Dieses Mosaik aus Eindrücken und narrativen Kleinsteinheiten fügt sich nur zögerlich aneinander, erst gegen Ende nimmt die Geschichte richtig Fahrt auf, wenn sie auf einen möglichen Ausgang der Konflikte langsam, aber bestimmt zuläuft. Durchgängige hundert Minuten aber: ein atmendes, körperliches Kino, das wie die schweren, mit Holz vollgepackten Schlitten am Hang anmutig durch den tiefen Schnee der Geschichte walzt.
Zwei Jahre später, am fünfzigsten Jahrestag des „Anschlusses“, steht ein Soldat, der sich aus Heidenlöcher auf den Heldenplatz verirrt haben könnte, mitten auf diesem geschichtsträchtigen Ort. Gezeichnet vom Krieg, mit heiserer und verzweifelter Stimme überbringt er als Performance eine Botschaft an Kurt Waldheim: „O Vaterland, Vaterland, zeig’ uns den Weg/Dein Gruß soll das Wegzeichen sein.“ Heldenplatz, 12. März 1988 ist Johannes Rosenbergers Dokument der Aktion, die er in verschiedenste Bewegtbildformate reißt und mit Archivmaterial kollidieren lässt. Die Vergangenheit liegt nicht da, sie steht mitten unter uns – grotesk, verzerrt, schreiend, zerstückelt. Unheimlich.
(Alejandro Bachmann)

Ich nehme mir die Geschichten aus meinem Land. Und ich erzähle sie von innen heraus. (Wolfram Paulus, Profil, 1989)

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