Diagonale
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Festival des österreichischen Films
4.–9. April 2024, Graz

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Una Primavera
Dokumentarfilm, AT/DE/IT 2018, Farbe, 80 min., OmeU
Diagonale 2019

Regie, Kamera, Originalton: Valentina Primavera
Buch: Valentina Primavera, Federico Neri
Darsteller:innen: Fiorella di Gregorio, Alessia Camilletti, Chiara Primavera
Schnitt: Federico Neri
Musik: Macarena Solervicens
Sounddesign: Macarena Solervicens, Azadeh Zandieh
Weitere Credits: Mischung: Azadeh Zandieh Grading: Daniel Kraus
Produzent:innen: Johannes Schubert
Produktion: Johannes Schubert

 

Mit einer Handkamera begleitet Valentina Primavera ihre Mutter zurück nach Italien. Nach vierzig Jahren Ehe voll mit Beleidigungen, Demütigungen und häuslicher Gewalt will diese dort ihren Mann endgültig verlassen. In schonungsloser Ehrlichkeit zeichnet Primavera ein komplexes Familienporträt. Ein bemerkenswert mutiges Antreten gegen das Wegsehen.

Müde und erschöpft liegt Fiorella Primavera im Wohnzimmer der Tochter auf einer Matratze. Nach vierzig Jahren Ehe – vierzig Jahren voll mit Beleidigungen, Demütigungen und häuslicher Gewalt – will sie ihren Mann, den Vater ihrer Kinder, endgültig verlassen. Zuflucht findet sie bei ihrer Tochter in Berlin. Es ist eine überaus persönliche Geschichte, die der Film fortan erzählt: Valentina Primavera ist die jüngste der drei erwachsenen Kinder von Fiorella und Bruno. Mit einer Handkamera reist die Filmemacherin zurück in ihren Heimatort, um ihre Mutter zu begleiten, die sich dort in Italien langsam und unsicher in ein neues Leben vortastet.
Schonungslos ehrlich zeigt Una Primavera die Begegnung mit dem tief liegenden Schmerz: Zwischen Terminen bei Gericht und einem aufwühlenden Aufeinandertreffen mit einem wimmernden Bruno im Familienhaus erinnert sich Fiorella an frühe Beschwichtigungen ihrer eigenen Mutter, eine Frau solle dem Ehemann eben nicht widersprechen. Stück für Stück entfaltet der Film ein komplexes Familiensystem mit patriarchalen Strukturen, das weiter in Betriebstemperatur vor sich hin köchelt: Da ist der Onkel, der es mit Mussolini halten will und findet, dass ein Mann doch lieber einen Tag als Löwe denn hundert Jahre als Schaf leben soll. Da ist der Schwager, der Bruno für die Geduld bewundert, mit der er die Abwesenheit der Ehefrau ertragen hat. Und auch Valentinas älteste Schwester Chiara zeigt nur wenig Mitgefühl für die Situation der Mutter, die von strafender Einsamkeit geprägt ist. Einmischen, so scheint es, will sich niemand, und dennoch wird übergriffig wieder und wieder zu Ungunsten der Mutter relativiert.
Nur an wenigen Stellen kommentiert Valentina Primavera die Aufnahmen mit Kindheitserinnerungen aus dem Off. Beschützend, zuhörend und nachfragend bleibt sie zumeist ganz nah bei der Mutter, die durch die emotionale Gemengelage taumelt. Es ist ein bitteres Vor und Zurück, das die Filmemacherin mit ihrer Kamera dokumentiert: Zu eingefahren scheint das Familiengeflecht, in dem perfide Verletzungen, Schamgefühl und beharrliche Verdrängung einen Knoten bilden, der sich nicht so recht auflösen lassen will. In entschiedener Offenheit zeichnet Valentina Primavera ein eindringliches Familienporträt, das auch von Strukturen häuslicher Gewalt erzählt. Den Blick auf die Hilflosigkeit auszuhalten ist fordernd – und ein bemerkenswert mutiges Antreten gegen das Wegsehen.
(Katalogtext, jk)

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